TOURTAGEBUCH 



(Treuenbrietzen)

SCHROTTFISCH Tourtagebuch: KLEINSTADTHELDEN

Wir fahren nach Treuenbrietzen hinein und sind bereits Kleinstadtgespräch. Der ältere Herr am Eingang des Ortes erklärt uns den Weg und fragt uns, ob wir zu dieser Konzertveranstaltung wollen. Hottentottenmusik, sagt er noch.

Die Halle ist ein ehemaliger Ost-Kultursaal mit angeschlossener Gaststätte, ein ländliches Ausflugsziel und früher volkseigen. Heute gibt es hier immer noch Broiler und heiße Grilletta. Mit frischem Beelitzer Spargel. Der Saal hält inzwischen für Hochzeitsveranstaltungen gleichermaßen her wie für Rentnerbälle oder die Jugenddisco. Der "Chef", der Besitzer, heißt Frank. Er hat nur ein Auge. Das Andere ist aus Glas. War nach der Wende Sozialarbeiter, kennt die meisten Jugendlichen des Ortes, engagiert sich jetzt kulturell für Treuenbrietzen, organisiert Kabarrettveranstaltungen oder eben Konzerte von Newcomerbands. In Treuenbrietzen ist man dankbar für alles, was sich bietet. Sagt Frank.

Der angekündigte Techniker, der schon Live-Touren mit KEIMZEIT gemacht haben soll, ist verhindert. Stattdessen baut ein etwas bierbäuchiger AC/DC-Rowdy Verschnitt, der sich als Karsten vorstellt, das Equipment auf. Für den Soundcheck reicht ihm das kurze Anspielen eines einzelnen Stückes.
Später gibt es für die Band Bier und Schnitzel frei Haus. Die ersten Leute sind schon eingetroffen. Es sind noch vier Stunden bis zum Konzertbeginn. Wir werden beobachtet. Neugierig und bewundernd. Die Kellnerin läßt sich von uns Autogramme auf den Rücken ihres T-Shirts geben. Und ein kleines bißchen fühlen wir uns hier wie Superstars.

Frank bittet uns, statt des vereinbarten Termins um 21.00 Uhr, erst um 22.30 Uhr anzufangen. Damit die Leute noch ein, zwei Bier mehr bestellen würden, na ja...., wir wüßten schon. Außerdem könnten wir doch zwischendurch eine kleine Pause einlegen.

Nach und nach füllt sich der Saal. Die Uhr läuft. Ich spiele ein paar Songs solo. Dann legen wir los. Der Sound ist wuchtig und laut. Klingt ein bißchen wie bei AC/DC. Karsten spielt Luftgitarre.
Das Publikum ist skurril gemischt. Ein paar Mädchen in engen T-Shirts stehen direkt vor der Bühne und können fast alle Lieder mitsingen. Wahrscheinlich haben sie irgendwann mal unsere CD gekauft. Links von uns tanzt und steppt eine Gruppe Punks. Sie singen ebenfalls. Nur haben sie offensichtlich noch niemals etwas von der CD oder der Band gehört.

Wir machen eine ganze Menge sogenannte "Bunte" aus, und drei bis vier Skinheads in einer hinteren Ecke des Raumes.

Nach einer Weile haben wir technische Probleme. Der Tontechniker versucht das Feedback in den Griff zu bekommen, verschlimmert mit seinen Bemühungen den Sound aber eher noch. Den Leuten scheint das egal zu sein. Und als wir schließlich kurz abbrechen, um die Boxen etwas zu verschieben, gibt es ein paar enttäuschte Zurufe.

Wir spielen weiter. Das piepsende Feedback schießt immer noch ab und zu durch den Saal. Aber die Leute sind am ausflippen. Sie singen lauthals mit, obwohl außer den Mädchen vorn an der Bühne, die ständig "ausziehen, ausziehen!" rufen, kaum einer die Texte kennt. Und die Punks stagediven und pougen zu unseren langsamsten Liedern.

Die Skinheads fixieren uns mit ihren Blicken. Ich weiß nicht, ob ich hinschauen oder vorbeisehen soll. Uns wird ein wenig mulmig. Irgendwann kommen sie direkt vor die Bühne und bauen sich einen Meter vor uns auf. Sie schauen, die Arme verschränkt, ohne sich zu bewegen.

Mir wird flau im Bauch. Ich nehme meinen Mut zusammen und sehe einem Skin direkt in die Augen, versuche seinem Blick stand zu halten. Als ich ihm zuzwinkere, wendet er sich grinsend ab. Plötzlich lächelt er.

Unsere letzten Songs kommen laut, unrhythmisch und rumpelig daher. Ich höre weder meinen Gesang noch meine Gitarre, das Feedback in meinen Ohren raubt mir die Nerven. Noch zwei, drei schnelle Songs, dann signalisiere ich der Band, daß ich aufhören will. René grinst. Ralph ist enttäuscht. Beide wollen rocken. Das Publikum auch. Sie zwingen uns fast dazu, auf der Bühne zu bleiben.

So kommt es, daß wir schließlich das ganze Programm noch mal von vorn spielen. Ich stehe völlig neben mir, lasse nur noch die Musik fließen. Und plötzlich funktioniert es. Wir grooven, werfen uns gegenseitig die Bälle zu und hören aufeinander. Die Skinheads sind verschwunden, die Punks haben Feuerzeuge angezündet, sie rufen "SCHROTTFISCH, SCHROTTFISCH". Am Ende sind wir fix und fertig. Die Leute verlangen weitere Zugaben und es dauert eine Weile, bis wir ihnen wirklich klar machen können, daß das Konzert vorbei ist.

Ich weiß nicht genau, ob ich lachen oder weinen soll. René ist glücklich. Ralph auch. Ein Junge mit einer Narbe im Gesicht, stürmt auf die Bühne, weicht meinem Blick aus, klopft mir auf die Schulter, sagt kein Wort. Dann verschwindet er.

Jemand schaltet die Saalbeleuchtung ein. Ein kurioses Gemisch von Leuten hat sich hier versammelt. Am Tresen trinken die Skinheads mit den Punks Brüderschaft. Die Mädchen vom Bühnenrand sind mit ihren Kerlen in die Autos gestiegen. Sie fahren nach Beelitz. Dort ist heute Spargelfest. Mit Feuerwerk.

Das Kulturhaus ist immer noch voll. Viele warten darauf, daß noch etwas passiert. Wie ich später erfahre, kennen sich die meisten, läuft man sich täglich über den Weg, besucht man die selben Veranstaltungen. Die meisten haben ab 18 ihren Führerschein und ein Auto. Sie fahren immer mal nach Potsdam oder Berlin. Oder ans Meer.

Ein paar Jungs und Mädchen zeigen uns Fotos von ihrem Abi-Ball und ihrem letzten Schultag. Vor ein paar Wochen haben sie dazu sechzehn Tonnen Sand bestellt und den Schulhof in eine Art Strandpromenade verwandelt. Auf den Fotos spielen sie im Hawaii-Outfit mit ihren Lehrern Topfschlagen oder Sackhüpfen.

Die meisten von ihnen wollen weg aus Treuenbrietzen. Eine Lehrstelle haben sie noch nicht gefunden. Und für diejenigen, die studieren wollen, kommt sowieso nur Berlin in Frage.

Der "Chef", wie sie ihn alle nennen, ist ein wenig enttäuscht. Er hatte mit mehr Leuten gerechnet. Er muß allein 250,- DM an die GEMA abführen, hinzu kommen die Kosten für die Band und das Personal an diesem Abend. Unterm Strich kommt für Frank nicht viel heraus, außer der Ruf, daß er wieder mal der Einzige war, der in Treuenbrietzen "was losgemacht" hat.

Er erzählt noch ein wenig von seinen Zeiten als Sozialarbeiter. Damals in Treuenbrietzen. Kurz nach der Wende. Bevor er sich selbstständig gemacht hat. Er haut mir lachend aufs Knie und sagt, ich solle mich nicht verrückt machen lassen wegen der Skinheads. Sein Glasauge funkelt. Kleinstadthelden, sagt er, und wenn hier jemand Ärger machen würde, dann hätte er schon Mittel und Wege, denen Benehmen beizubringen. Frank sagt, hier passiere selten etwas. Die großen Nazi-Zeiten sind vorbei. Rechtsradikal zu sein, ist ein bißchen aus der Mode gekommen. Wer wirklich rechts ist, läßt sich nicht mehr die Haare kahl rasieren. Etwas weiter weg in Wiesenburg gäbe es eine organisierte Rechte. Die machen auch schon mal Aufmärsche und so. Einmal war auch das Gymnasium in Treuenbrietzen für mehrere Tage gesperrt gewesen. Aus Sicherheitsgründen. Aber im Allgemeinen hätte man gelernt, miteinander zu leben.

Jemand meint, der Unterschied zu Berlin bestehe darin, daß man sich hier nicht aus dem Weg gehen kann. Daß man hier miteinander auskommen muß und nach einer Weile merkst du, daß der Andere zwar manchmal ein Idiot sein kann, aber im Großen und Ganzen ganz in Ordnung ist.

Auf dem Nachhauseweg im Bandbus hören wir Funny van Dannen. Maggi fährt. Er ist total übermüdet, hat die letzte Nacht nicht geschlafen. Nachdem wir in Berlin die Instrumente in den Proberaum geschafft haben und auf dem Weg nach Hause in den Friedrichshain sind, fährt Maggi wenige Meter vor der Haustür gegen einen Betonpfeiler. Ein dicker Kratzer auf der rechten Seite des Busses. Das Fahrwerk verzogen. Totalschaden, wie sich später herausstellen soll. Maggi ist entsetzt und ärgert sich über sich selber. Nur weiß er das noch nicht. Er sagt, wahrscheinlich werden die Knie erst morgen früh weich werden.

Jetzt will er einfach nur ins Bett. Schlafen.


(Fresenhagen)

SCHROTTFISCH Tourtagebuch: DAS WIR-GEFÜHL

Die Nachricht kam als Gerücht. Bruchstückhaft. Lutz Kerschowski, dem immer schelmische Lachfältchen um die Augen spielen, sagte am Telefon, daß er schließlich in der Jury sitze. Da gäbe es Regeln. Da könne er nichts verraten. Aber es sähe ganz gut für uns aus.

Nach Rio Reisers Tod im Jahre 1996 fand man Kisten voll mit Tonbändern, Kassetten und DAT-Aufnahmen im Scherben - Landhaus in Fresenhagen. Das musikalische Erbe eines Musikers und Poeten mit einer ergreifenden Intensität und einem unglaublichen Ausdruckswillen. Lutz hat sich immens dafür eingesetzt, daß all diese vergessenen Aufnahmen, B-Seiten, Outtakes, Live-Mitschnitte und die vielen Songs, die Rio daheim am Klavier gemacht hat, wieder ans Tageslicht zurückbracht wurden.

Lutz hat unsere erste Platte produziert. Und er hat uns immer und überall geholfen. Ich mag seine gemütliche, helle Wohnung in Berlin Pankow, die vielen Bücher und Platten. Dort hat mir Lutz vor Jahren auch zum ersten mal von Rio Reiser erzählt, den ich, offen gestanden, bis dato nur am Rande wahrgenommen hatte. Scherben Songs und auch Rios spätere Solo Platten werden bis heute kaum im Radio gespielt. Und so kannte ich höchstens den "König von Deutschland", ein Lied, das ich nicht mehr als nett und spaßig empfand. Lutz hat in Rio's letzter Band Gitarre gespielt. Aber er war vor allem das, was heute viele Leute nur vorgeben, gewesen zu sein - ein Freund.

Und jetzt sollten wir also den Ersten gemacht haben. Rio Reiser Songpreis 2001. Immerhin stand eine ansehnliche Summe Geld und die Aussicht auf einen Vertrag beim Möbius - Label auf dem Spiel. Wir waren also nicht gerade unaufgeregt und badeten in süßen Vorahnungen. Eine Einladung auf das Abschlußkonzert nach Fresenhagen, wo über mehrere Tage eine Art Pilgertreffen anläßlich Rio's 5. Todestages stattfand. Dort sollten wir als letzte Band auftreten.

Wir kommen dort zwei Tage früher an. Fresenhagen ist ein wunderschöner, kleiner Ort inmitten von Feldern und verschlungenen Wäldchen. Kleine, schilfdachgedeckte Häuser, die eine unglaubliche Stille und Friedfertigkeit verströmen. Normalerweise jedenfalls.

Hinter dem Rio-Reiser-Haus, wie es namentlich schon auf der Hauptstraße ausgeschildert ist, erstreckt sich eine große Wiese, die an ein Feld anschließt. Hier sieht es heute aus, wie auf einem Rummelplatz. Bunte Zelte und noch buntere Autos, neben Dixiklos und einer Bratwurstbude. Dazwischen Menschen, die alle irgendwie nicht in diese Zeit zu gehören scheinen. Jeder ist nett. Jeder ist freundlich. So sehr, daß es fast schon merkwürdig ist. Wir sind irritiert.

Jemand möchte unsere Zeltplatzmiete abkassieren. Er lächelt. Freundlich. Brüderlich. Wir sehen uns schon gemeinsam und völlig bekifft um ein Lagerfeuer tanzen. Von überall schrammeln Gitarren und Hunde jagen dutzendweise durch das Gelände. Auf der großen Zeltbühne, direkt vor dem Haus, singt ein Troubadour. Rio - Songs, was sonst.

Wir sind ziemlich erschöpft. Die lange Fahrt war kräftezehrend. Immerhin sind wir schon fast an der Grenze zu Dänemark und das Wattenmeer ist nicht mehr weit. Wir beschließen, morgen einen Tagesausflug dort hin zu machen. Rene fängt an, sich zu betrinken. Zelte und Lagerfeuer sind nicht so sein Ding. Sagt er.

Am Abend spielen diverse Rio Coverbands. Die Leute sind völlig am ausrasten. Sie kreischen wie die Teenies bei "Keine Macht für Niemand" oder beim "Rauchhaus Song". Und ich werde das unheimliche Gefühl nicht los, mich im Datum geirrt zu haben.

An Schlaf ist nicht zu denken. Die Musik hat noch einen drauf gelegt. Sie spielen Ska. Die Leute hüpfen und das Bier tut sein übriges. Überall Lärm. Überall Fröhlichkeit. Sicher im Sinne des Verstorbenen. Nur tröstet mich das, der ich in meinem Zelt kein Auge zu bekomme, leider herzlich wenig.

Am nächsten morgen kämpfe ich mich mit verklebten Augen aus meiner Behausung. Ich tappe über die Wiese auf der Suche nach der Gemeinschaftsdusche. Die Leute lächeln immer noch. Obwohl ich total bescheuert aussehe. Gruppenintegrität pur.

Leider macht eine so große Familie auch eine Menge Müll. Überall um das Rio Reiser Haus stapeln sich Pappbecher und zerissene Servietten. Die angrenzenden Büsche sind entweder zertreten oder haben sämtliche Blätter verloren. Am Bierstand gibt es jetzt Kaffee und Brötchen. Wir sitzen und machen komische Witze.

Das Rio Reiser Haus ist ein breiter, romantischer Bau. Etwas abseits lädt eine Art Rio-Gedenkstätte zum verweilen ein. Dort hängen Theaterplakate an den Wänden, steht ein schwarzer Flügel mitten im Raum und auf einem großen Videobildschirm laufen Rio Filme. John Banse, Scherben-Fan der ersten Stunde, kommt in die kleine Halle geschlurft. Er kichert und nuschelt. Dann wechselt er die Videokassette aus und verschwindet wieder.

In das Haus selbst kommen wir dieser Tage nicht. Schon verständlich, wenn man die große Anzahl Menschen auf dem Gelände bedenkt. Sie müssen sich mit Rios erleuchtetem Zimmer im Erdgeschoß zufrieden geben, bei welchem eigens die Fensterläden geöffnet wurden und in welches von außen hereingesehen werden kann. Wir stehen da. Schauen. Versuchen uns Rio vorzustellen. Und ein wenig kommen wir uns vor, wie japanische Touristen.

Hinter dem Haus steht ein Apfelbaum. Kräftig und duftend mit einer weit ausladenden Baumkrone. Darunter verläuft ein winziger Holzzaun, der sich um Blumen, Kerzen und kleine Geschenke schließt. Es ist Rios Grab. Die Leute gehen vorbei, manche bleiben stehen oder verweilen auf einer Bank. Das Wort Heimat kommt mir in den Sinn. Zuhause. Ankunft. Und irgendwie berührt mich dieser Ort. Und ich wünsche mir, die Leute ringsum könnten für eine Weile auf dieses sektische Gehabe und dieses angeschaffte Gemeinschaftsgefühl verzichten. Das hat es nämlich nicht nötig.

Den ersten Platz macht eine Ska-Band aus Berlin. Es regnet in Strömen. Seit dem späten Nachmittag spielen die vorderen Bands in umgekehrter Reihenfolge. Als wir unsere Instrumente einstöpseln, ist es schon dunkel geworden. Am Mittag waren wir noch am Meer. Und natürlich haben wir ganz schön geschluckt, als wir erfahren haben, daß wir "nur" die Zweiten geworden sind.

Aber der Ärger ist schon fast wieder verflogen. Wir spielen ein ruhiges Set. Mit einer winzigen Spur Trotzigkeit im Blick. Auf der im Regen glänzenden Wiese haben sich ein paar wenige hartgesottene versammelt. Sie schaukeln fröstelnd und hören zu. Der Gig macht uns Spaß. Wir überhören die Pfiffe, die von irgendwo unter den vor dem Regen schützenden Bäumen herkommen. Die Kommune will rocken.

Als dann die Ska-Band loslegt, steppt wieder der Bär. Rene schaut irritiert. Das ist gerade der Gewinnersong, sagt er. Die Boxen platzen fast auseinander. Die Musik ist druckvoll und die Band singt rotzige Songs gegen das System. Eine spaßgeladene Energie strahlt von der Bühne herab. Maggi meint, das wäre halt eher im Sinne Rio's.

"Tut was! Tut was!", ruft der Sänger und meint dabei offensichtlich etwas anderes als Tanzen. Die Leute verstehen nicht ganz. Sie springen jetzt noch höher und rufen noch lauter. Sie lachen und schlagen wild um sich. Und der Bierstand macht traumhafte Umsätze.


(Tempodrom)

SCHROTTFISCH Tourtagebuch: VORSPEISEN UND HIP-HOP-POSEN

Wie bekommt man Lampenfieber in den Griff? Schwer zu sagen. Da wären zum ersten die Drogen. Eine große Dosis Alkohol und ein Sonderposten Zigaretten. Oder was man sonst noch so rauchen kann. Zum zweiten gibt es da die Esoterik. Nächtelanges meditieren bei Räucherstäbchen und Wunderkerzen. Dazu diverse Kuchen und Kekse. Und was man da so reinmachen kann. Außerdem wären da noch Schlafentzug, um den Häuserblock rennen, in der Hauptverkehrszeit schwarz fahren und andere adrenalinförderliche Betätigungen.

Wir wußten es einfach nicht. Und so kam es, daß jeder von uns auf seine eigene Weise mit der Situation umgehen mußte. Als ich fünf Tage vor dem Konzert im Tempodrom bei Rene anrufe, sitzt der gerade auf dem Klo. Ich übrigens auch.

"Kannst du auch nicht mehr richtig schlafen?" frage ich ihn. "Ich habe einen Bammel vor dem Gig, das kannst du dir gar nicht vorstellen." sagt er. "Wir haben noch nicht mal annähernd vor so vielen Menschen gespielt. Und weißt du, was das schlimmste ist? Das sind alles Hip-Hopper!"

Das Berliner Tempodrom ist ein großes Konzert-Zelt, welches in etwa 5000 Menschen faßt. Dieser Tage lief eine Welle von Anti-Rechts Kundgebungen durch die Bundesrepublik und nur wenige Monate später hatte fast jeder gesellschaftlich gut etablierte Politiker oder Künstler eine entschiedene Meinung zum Thema. Es muß wohl nicht gefragt werden, warum all diese Leute nicht eher den Mund aufgemacht haben. Die Antifa und der Radiosender FRITZ hatten bereits im Sommer eine bundesweite Aktion angekurbelt, deren Abschlußveranstaltung unter dem Namen "Beats against Faschism" im Tempodrom stattfinden sollte. Eingeladen waren Hip-Hop Acts wie Fettes Brot, Danyo77 oder Das Department.

Und eine kleine Berliner Band namens SCHROTTFISCH, die sich dort, wenn auch nur musikalisch, etwas verloren vorkam und überdies furchtbar aufgeregt war.

Als wir gegen Mittag unsere Autos am Ostbahnhof parken regnet es. Rene raucht auffällig intensiv. Maggi nestelt an seinem Hemd. Und Ralph hat sich hinter seiner Sonnenbrille verkrochen. Auf dem Gelände des Tempodroms sind alle furchtbar nett. Wir werden mit VIP-Karten ausgestattet und hey (!), da kommen tatsächlich zwei Roadies auf uns zu und fragen, ob sie unser Equipment tragen sollen. Ich ertappe mich kurz bei der Frage, ob ich jetzt Trinkgeld zahlen muß.

Auch das Catering ist phantastisch. Wir stopfen uns mit belegten Brötchen, Salat und Kaffee voll. "Wahnsinn!" schmatzt Rene und greift gierig nach den Wiener Würstchen. "Schon irgend welche Promis gesehen?" "Nee." sage ich und füge hinzu "Ich bin total vollgefressen, sicher die Aufregung. Aber wenn die Promis noch was abhaben wollen, dann sollten sie sich mal sputen." Plötzlich werden Schüsseln und Tabletts aus der Küche hereingetragen. Wir sind irritiert. "Was'n das?" frage ich vorsichtig. Ein Mädchen mit einer Schürze schaut mich nun ihrerseits merkwürdig an. "Na der Hauptgang, was sonst."

Bis zum Soundcheck vergehen Stunden. Es gibt Verschiebungen im Zeitplan. Inzwischen sind auch sämtliche Musiker eingetroffen. Schiffmeister und Tobi sitzen schweigend im Backstage. Keine Witze.
Keine Posen. Wir erfahren, daß die Band schon seit dem frühen Vormittag hier ist. Zwischendurch sind sie mal zum Alexanderplatz gefahren. Das wars. Ansonsten mehr oder weniger stumpfes Warten. Wie alle anderen hier. Es ist beruhigend, zu sehen, daß es auch in Veranstaltungen dieser Größenordnung, nicht viel anders zugeht, als bei kleineren Clubgigs. Warten. Schauen. Und aufpassen, daß man dabei nicht mürbe wird.

Das Tempodrom füllt sich furchteinflößend. Es regnet immer noch. Überall Polizei und Wachschutz. Irgendwann fängt es an. Zwei Menschen von der Antifa betreten die Bühne. "Wir schlagen die Faschisten!" rufen sie. Solche Parolen finde ich gruselig. Die Menge tobt. Etwas betreten stimme ich noch mal meine Gitarre. Maggi, Ralph und Rene sind jetzt sehr ruhig. Wir freuen uns auf das Konzert. Und wir werden das schon hinbekommen. Die Leute von der Antifa erzählen etwas von "auf die Glatze hauen". Komische Art, Probleme zu lösen.

Dann spielen wir. Der Sound ist klasse und die Leute sind dran. Wir haben keinen frenetischen Jubel erwartet. Daß die Spannung erhalten bleibt, obwohl wir nicht rappen, macht uns froh. Und die Aufregung ist wie weggepustet.

Nach dem Konzert fangen wir endlich an zu genießen. Den Hip-Hop, den Regen, die Posen. Es ist egal. Alles fällt für ein paar Augenblicke ab, wird leicht und gleichmütig. Wir sind um eine wichtige Erfahrung reicher geworden.

Die Jungs von Fettes Brot sitzen immer noch schweigend auf ihren Plätzen. Ich frage mich, ob sie sich zwischendurch überhaupt mal bewegt haben. Wir beschließen, uns später noch die Show anzusehen. Nachdem wir uns dem Erdboden wieder ein Stückchen näher fühlen, trinken wir Bier, erzählen unwichtiges Zeug und laufen wie gackernde Hühner auf dem Gelände herum.

Dann spielt der Hauptact. Ich hätte nie gedacht, daß ich mir jemals in meinem Leben ein Hip-Hop Konzert ansehen würde. Schiffmeister, Tobi und Lenz sind wie ausgewechselt. Mit unglaublicher Agilität springen sie über die Bühne, reißen Possen und animieren die Fans zu Mitmach-Aktionen a la Jump-Jump Gehopse und Hände-in-die-Luft drehen. Die Menschheit ist glücklich. Und die Drei dort oben wissen genau, wie sie das geschafft haben.

Nach zwei Zugaben verschwinden sie schließlich. Von der Bühne direkt in den Bandbus und zurück nach Hamburg. Jemand von FRITZ möchte noch ein Interview machen. Keine Zeit. Ralph hätte gern eins gegeben. Aber ihn fragt wieder mal niemand. Wir packen unsere Sachen, verabschieden uns und fahren los. Wir haben noch eine Menge Zeug in den Proberaum zu schleppen. Und keine Roadies mehr.